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Die Haustür

Sie stöhnt schon ein wenig im Alter, die Haustür Nr. 37, mit ihren beiden Flügelarmen. Ihre Augen schauen hinter quadratischen Scheiben etwas trübe nach Drinnen, in den Hausflur, und nach Draußen, auf die Straße. Ihre Haut ist an vielen Stellen faltig und rissig, und mittlerweile eher ein fades Grau, als das strahlende Weiß, das es vielleicht einmal war. Wird ein Schlüssel in ihrem Mund geschoben und gedreht, öffnet sie mühevoll und behäbig ihren schweren Körper. So als sträube sie sich fast ein bisschen, sich zu bewegen.

Aber vielleicht ist sie auch traurig. Denn die meisten Schlüsselbesitzer treten sie mit dem Fuß ziemlich hart an ihr Schienbein, wenn sie hereinkommen. Damit sie nicht gleich wieder phlegmatisch zufällt, wenn Einkaufstüte, Fahrrad oder Kinderwagen gleichzeitig ins Haus müssen. Die täglichen Tritte haben Flecken und Spuren hinterlassen. Und genau wie die Tür selbst, haben auch ihre Klingelschilder die beste Zeit hinter sich. Einige Namen wurden rasch mit dem Stift überschrieben, andere neu abgetippt und die alten überklebt, manche sind fast vergilbt, aber über allem hängt die dicke Schicht des Alters. Hinter der Tür, unter den grünen Kacheln im Flur, parken meist Kinderwagen und Dreiräder. Einmal in der Woche wird die rechte Hälfte der Tür mit einem Haken an die Wand festgekettet und die linke Hälfte mit einem Rums aufgeklappt, so dass die Tür ihren Schlund weit öffnen kann für die Männer der Müllabfuhr. Damit sie mit den schweren vollen Eimern aus dem Garten hinaus poltern und kurz danach mit den leeren wieder hinein rollen können. Die Kinderwagen und Räder parken an diesem Tag woanders.

Die Tür ist ins Haus hineingeschnitten, fast wie in einen Kuchen. Schräg zulaufende Wände weisen auf ihr Herzzentrum, das Schlüsselloch. Aber sie sind mit hässlichen schwarzen Zeichen besprüht. Böse Wunden an den Wangen der Tür. Wie von Zauberhand verschwinden sie mal und kommen dann wieder, diese Kunstwerke des Grauens, für die sich die Tür schämt.

Drei Stufen führen von der Straße hinauf zu ihr. Geflieste Stufen, auf denen die Besitzer von Hausschlüsseln manchmal Dinge ablegen, die sie nicht mehr brauchen: Tassen, Regale, sogar Kleidungsstücke. Meistens ist alles nach einem Tag verschwunden. Irgendjemand braucht immer irgendwas. Manchmal aber auch nicht. Dann werden die Stufen vor der Tür zum Abladeplatz menschlicher Bequemlichkeit, die sich bestenfalls in Unordnung, aber zum Leidwesen der Tür auch gerne mal in Müll verwandelt. Da gab es diesen ausgeleierten Bürostuhl, dessen Innereien schon aus brüchigem, schwarzen Leder hervor quollen, mehr Schleudersitz als Drehstuhl, so ganz ohne Fuß. Tage-, wochenlang saß er achtlos vor der Tür herum und wartete darauf, abgeholt zu werden. Aber niemand kam. Niemand wollte ihn, die alte Filzlaus. Die Tür wusste sich nicht mehr zu helfen. Aber irgendwann fand man ihn doch tot im Gebüsch gegenüber. Vielleicht waren die Müllmänner der Tür zu Hilfe gekommen. An manchen Tagen quatschen Zeitungen auf den Stufen vor sich hin und nerven die Tür mit Werbeanzeigen. Stapel mit buntem Kauf-Mich-Müll, das im Haus niemanden interessiert. Unbeachtetes Papier, das erst einen Platz finden muss, um dann weggeschmissen zu werden. Aber bis es soweit ist, nimmt es vielleicht noch ein listiger Regen mit und klebt es auf den Stufen fest. Oder ein schräger Wind verteilt es achtlos auf dem Asphalt und spielt Papierflieger mit ihm. Die Tür schaut nur müde zu. Tag für Tag wartet sie hilflos auf den nächsten Schlüssel. Die Haustür Nr. 37, die schon viel gesehen hat.

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