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„Deine Gedichte reimen sich ja gar nicht …“

Vom Schreiben mit Kindern Früher einmal wollte ich Lehrerin werden. Jetzt weiß ich wieder, warum ich es dann doch nicht mehr wollte, und warum es richtig war, dieses Nicht-Mehr-Wollen: Weil ich frustrierte, unfähige Pädagogen, die mit Unlust und Unwillen, willentlich oder – noch schlimmer – unwillentlich Kerben in Kinderherzen schlagen, einfach unerträglich finde. (Bevor jetzt die Dresche folgt: Ja, es gibt tolle Pädagogen, ja, die machen einen guten Job, ja, sie sind auch nur Menschen).


Aber, was soll ich denken von einer Lehrerin, die einem 11-jährigen Mädchen, das gerne, viel und leidenschaftlich schreibt, ins Gesicht sagt: „Deine Gedichte reimen sich ja gar nicht richtig.“ Ich könnte schreien: Na und? Ich könnte kreischen: Schon mal was von konkreter Poesie gehört? Aber ich kann nichts denken. Ich bin einfach nur traurig, wütend und fassungslos. Denn das Mädchen hat sich ratsuchend an diese Frau gewandt, weil sie eine Gelegenheit suchte, um weiter schreiben zu können. Irgendwo. Irgendwie. In einer Gruppe. In einer AG. Nicht im Unterricht. Um Gedanken aufzuschreiben, die in ihrem Kopf tanzen, um besser zu werden, um Anregungen bekommen und Bestätigung. Nur mal kurz fürs Protokoll: Wir reden hier von dieser altmodischen Sache namens S-C-H-R-E-I-B-E-N. Es geht hier nicht um Computer-Spiele, Playstation 4, Netflix oder die neuesten Schmink-Tipps über irgendeinen dieser beliebten unwichtigen Youtube-Kanäle. Es geht auch nicht ums Posen, Selfies oder Instagram. Nein, es geht um ganz analoges Schreiben von Gedanken auf Papier. Ok nicht ganz: kein Papier, ein iPad. Es sind die Gedanken einer 11-jährigen, zu denen ihrer Lehrerin nur der Satz einfiel: „Deine Gedichte reimen sich nicht richtig.“

Und was hat das mit mir zu tun? Dieses schreibende Mädchen war Teilnehmerin in meinen Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche im Oktober 2016 und im April 2017 bei nestwärme e.V. in Trier. Bei unserem ersten Workshop wirkte sie zunächst etwas zurückhaltend auf mich, fast skeptisch: Schreibworkshop für Kinder? Mal sehen, was ich da so zu bieten habe! Von Übung zu Übung taute sie dann mehr und mehr auf, gewann an Sicherheit und öffnete sich den anderen Mädchen der Gruppe, die mit einer Fröhlichkeit und Empathie Texte schrieben, vorlasen und sich gegenseitig durch Rückmeldungen bestärkten. „Dein Text hat mir auch gut gefallen, weil man richtig merkte, wie wichtig Dir das war und Du das so schön beschrieben hast, das ich mir das richtig vorstellen konnte.“ Schon ihr erster Text drückte mich in den Stuhl: ihre Sprachbegabung, ihre Wortkreationen, ihre erstaunlich differenzierten Gedankengänge und genauen Beobachtungen, das Ringen um die richtigen Worte. Das Suchen. Das Finden. Die Zweifel. Alles war zu spüren und berührten mich sehr. Und ich ermunterte sie deshalb auch weiterzumachen und ihr Talent zu pflegen. Nach dem Kurs suchte die Mutter bei einem Elternsprechtag alle Hauptfach-Lehrer auf und trug das Anliegen ihrer Tochter vor: gleichgesinnte Kinder zu finden, die das Interesse für das Schreiben teilen. Daraufhin ließ sich die Deutsch-Lehrerin die Gedichte zeigen und fällte ihr vernichtendes, uns schon bekanntes Urteil.

„Dass es Ihre Workshops gibt, macht mir Mut, und freut mich unheimlich für meine Tochter“, schrieb mir die Mutter nach dem zweiten Workshop nun in einer E-Mail und dankte mir für meine Arbeit.

Dass es diese Rückmeldung gibt, macht mir Mut für meinen Weg und mein Ziel mit „Schreiben als Kunst“: Menschen – ob klein oder groß – in ihrem Selbst zu stärken. In ihrem Wert. In ihrem Können. Und in ihrem Wissen und Vertrauen darauf, wer sie sind und wer sie sein können.

Bitte gib nicht auf! Schreib weiter.



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